Wie so oft im Leben, fängt etwas Großes klein an. Und manchmal braucht es Jahre und einen Zufall, der den Blick auf etwas ganz neu justiert. Ein ganz normaler Urlaub sollte es werden. Es wurde, zufällig, eine lebenslange Freundschaft zu einem Dänen und Dänemark zur Heimat meines Herzens!
Der Himmel ist strahlend blau. Die Sonne blendet mich. Es ist erst Mitte April, aber ich kann die Sonne auf meiner Haut schon deutlich spüren. Die Wärme macht mich faul und träge. Es weht nur ein laues Lüftchen. Die Osterglocken, die mein Ferienhaus in Grærup umsäumen, wiegen ihre Köpfe leicht im Wind.
Die Vögel zwitschern, und von Ferne trägt der Wind das Meeresrauschen und das Geschrei der Möwen herüber. Nur einen Augenblick kann ich so verweilen auf der Terrasse des Ferienhauses. Denn der feel good-Artikel für fejo ist noch nicht fertig. Schluß also mit „dolce far niente“!
Spätestens, wenn mein Chef und ich uns am liebsten nur noch von hinten sehen, merke ich, dass ich urlaubsreif bin. Ich muss raus, mal so richtig den Alltagsstress aus der Seele pusten lassen. Wo ginge das besser als in Dänemark? Wo ginge es besser als dort, wo das Licht so hell ist, der Himmel so weit und die Strände so endlos? Wo besser als dort, wo alle Vorzeichen sich verändern und alle Werte sich verschieben? Die Freiheit schier grenzenlos scheint?
Was ist es, das unser Herz für Dänemark höher schlagen lässt? Uns kurz vor der Grenze aufgeregt sein lässt, als würden wir nach langer Zeit einer alten Liebe wieder begegnen. Oder einer neuen zum ersten Mal? Für mich liegt die Antwort irgendwo zwischen Rømø und Skagen, zwischen Søndervig und Kopenhagen.
Sie liegt in den vielen roten Alleen, die im Herbst die Straßen an der Ostküste säumen, im herbstlichen Duft der knorrigen Bäume am Rønnevej in Grenå und an den endlosen freien Stränden in Dänemark, die nur sich selbst gehören.
Dieses wundervolle kleine Land im Norden, und was es so liebenswert macht, sind jedoch die Dänen selbst. Ihre Freundlichkeit, ihr Humor, ihre Gastfreundschaft und das Vertrauen, das sie uns entgegenbringen. Dänemark ist viel mehr als nur Hotdog und Smørrebrød.
Die Dänen sind ungleich gelassener. Sie haben ihre innere Mitte gefunden. Und eine lange Nacht mit ihnen, bei Yatsy, Jubilæums-Akvavit und Sprachübungen zum weichen d, bleibt für immer in Erinnerung. Für mich der Inbegriff von „hygge“!
Wann immer ich zum ersten Mal ein neues Ferienhaus betrete, kommt mir Astrid Lindgren in den Sinn: Für sie wohnt das grenzenloseste aller Abenteuer in dem Duft der Druckerschwärze neuer Bücher. Ein bisschen so ist es mit den Ferienhäusern, denn jedes von ihnen muss erst einmal erkundet und beschnuppert werden. Zum ersten Mal bekommt man einen Eindruck davon, wie schön es werden wird, für die nächsten Tage oder Wochen darin zu wohnen.
Man schaut aus dem Fenster, auf Dünen, vielleicht auf das Meer oder so, wie ich jetzt gerade in diesem Augenblick, aus dem Wintergarten herunter von einer Düne in eine Art Tal mit Heideflächen, vielen Nadelbäumen und auf eine Lichtung, auf der abends oft Rotwild zu beobachten ist. Hier, in Grærup, gibt es viel Küstenwald, und das Rotwild kommt ganz nah heran, denn eigentlich ist es sein Zuhause.
Vom Küchenfenster aus kann ich auf eine hohe Düne sehen. Abends wird sie von der untergehenden Sonne in ein rotes Licht getaucht, und ich kann mich von ihrem Anblick gar nicht losreißen, bis schließlich der Horizont schon ganz dunkel ist und nur der Himmel noch orange-lilafarben.
Viele Dänemark-Fans haben längst ihre Lieblingsregion gefunden. Die einen lieben die Ostsee mit ihren windstilleren hyggeligen Stränden und vielen Inseln, die anderen schwören auf die rauhere Westseite mit stetem Wind und den unübersehbaren Zeugnissen der Naturgewalten. Wind, Sand und Wellen fressen sich an der Jammerbucht immer weiter ins Land.
Für meinen Lieblingsleuchtturm, Rubjerg Knude bei Lønstrup , hatten sich die Naturgewalten schon Messer und Gabel bereitgelegt, um ihn zu verschlingen. Eine gigantische Dünenformation hatte sich bereits um ihn herum gebildet – Sand und Wasser standen ihm schon bis zum Hals. Erfindungsreich wie die Dänen aber nun einmal sind, haben sie eine Weile überlegt, was am besten zu tun sei, um ihn zu retten. Einfach abtragen und weiter ins Landesinnere versetzen? Hört sich ein wenig nach Schildbürgerstreich an, aber genau so haben sie es gemacht. Danke, liebe Dänen! Ein Geniestreich!
Ich persönlich kann mich nicht entscheiden, was ich lieber mag, Ostsee oder Nordsee. Wenn man sich bei Grenen mal barfuß den Sand durch die Zehen zwirbeln lässt und den immerwährenden Kampf zwischen Skagerak und Kattegat beobachtet, wird es einem klar, warum man sich kaum entscheiden kann: Die beiden selbst sind es, die einen Kampf führen, in dem es keinen Sieger gibt!
Neben der Zeit, die man mit Familie oder Freunden verbringt, bietet Dänemark für jeden etwas, Kunst, Kultur, Aquarien, Natur. Ich selbst habe ja mein Herz an die Reiterei verloren. ABER: Als ich im letzten Jahr mit meiner Freundin Klaudia Urlaub in Bjerregård gemacht habe, war Anja, ihre Tochter, gerade zur selben Zeit in Hvide Sande in einem Surfcamp.
Mehrmals waren wir da, um zuzusehen. Geschenkt, ich habe keine Ahnung vom Surfen. Man steigt bäuchlings auf ein Brett mit Segel, wartet auf eine Welle und lässt sich dann zur anderen Seite wieder ins Meer platschen. Das muss ungeheuren Spaß machen, wenn man sieht, mit welcher Inbrunst und Ausdauer dieser Vorgang wiederholt wird. Einmal über´s Brett wälzen … ein ganz wunderbarer Sport!
Anja konnte dem Surfbrett noch andere Kunststücke entlocken: Sie entschwand damit aus der Bucht, aus den Augen ihrer Mutter, bis zum Horizont (und darüber hinaus). Klaudia, eher jemand von der tiefenentspannten Sorte, lief auf und ab am Strand, die Augen angespannt auf's Meer gerichtet. Irgendwann kam Anja auf dem Brett wieder angesegelt, blaue Nase, blaue Hände von der Kälte, aber sichtbar glücklich vom Kick. Also, im nächsten Leben probiere ich das auch!
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden an der Westküste Jütlands Bäume angepflanzt, um den Sandflug einzudämmen. An der Westseite sind es überwiegend Nadelwälder, aber auch an der Ostküste gibt es Küstenwälder, häufig mit Buchen.
Mancherorts formt der stete Wind sie zu Windflüchtern. Bizarre Formen und gespenstisch anmutende Wurzeln finden sich ebenfalls – wie im Hulvej zwischen Grenå und Katholm, einem kleinen Weg, an dem früher häufig Postkutschen überfallen und ausgeraubt wurden. Ich mag diese Küstenwälder, denn man kann dort ausgedehnte Spaziergänge unternehmen. Viele verfügen über ein gutes Reitwegenetz und Wege, die sich bestens zum Radfahren eignen, wie fast überall in Dänemark.
Apropos Katholm: Im Rückraum des kleinen Ortes mit gleichnamigem Schloss befindet sich in den Dünen, kurz vor der Steilküste, eine kleine alte Holzbank. Von dort aus lassen sich nicht selten Schweinswale beobachten. Man braucht etwas Geduld, um sie zu entdecken, aber manchmal kommen einem auch Küstenseeschwalben zu Hilfe, deren Gezeter und senkrechte Sinkflüge ins Wasser fast immer ein Indikator für eine Gruppe von Schweinswalen sind.
Für Vogelkundler darf ein Besuch von Filsø bei Vejers natürlich nicht fehlen. Es zählt zu Dänemarks größten Renaturierungsprojekten, und das Gebiet selbst umfasst über 2.300 ha. Ein Damm führt durch den Filsø, ebenso eine Ellipse. Dort sind 234 Vogelarten registriert, sogar See- und Fischadler, Kraniche und Störche. Es herrscht reges Treiben. Im Gebäude des Naturfonds befinden sich auch Toiletten.
Normalerweise gehören stille Örtchen ja bekanntlich nicht unbedingt zu den Sehenswürdigkeiten eines Landes, aber die von Filsø haben eine kleine Notiz verdient: Öffnet man die Tür eines dieser Etablissements, wird per Infrarotsensor ein Band (und hoffentlich keine Kamera) eingeschaltet.
Es ertönen, so hört es sich jedenfalls an, alle dort registrierten Vogelstimmen gleichzeitig. Ein Gepiepe und Geschnatter bricht über einen herein, dass man fast vergisst, wozu man diesen Ort überhaupt aufgesucht hat …
Nach Tagen und Wochen zwischen Dünen und Meer, Freiheit, Glück und jeder Menge napoleonshatte, kanelsnegle und flødeboller geht jeder Urlaub irgendwann zu Ende. Sachen packen, Ferienhaus reinigen, Zählerstände ablesen – das ist das Ende dieser kostbaren Zeit. Ich versuche immer, mich damit zu trösten, dass es ja gerade das Ende ist, was uns diese Zeit als so kostbar empfinden lässt.
Das hilft aber nicht! Ich hasse das Urlaubsende. Es ist nichts weiter als der Rauswurf aus dem Paradies. Und wenn ich bei der Schlüsselrückgabe gefragt werde, ob ich einen schönen Urlaub hatte, kann ich nur noch glucksen. Spätestens, wenn Udo Lindenberg und Apache 207 „Und wenn ich geh´, dann so, wie ich gekommen bin, wie ein Komet, der zweimal einschlägt“ aus dem Autoradio tönen, muss ich zur Sonnenbrille greifen. Der Karneval in meinem Gesicht gehört nur mir.
Jedes Mal der Gedanke: Einfach ans Ferienhaus ketten, den sicheren Job in Deutschland schmeißen, die Wohnung verkaufen. Hauptsache hier bleiben, nie wieder weg. Nie wieder! Verdammt … ich liebe dieses Land!
Man weiß ja nie, ob und wann der nächste Dänemark-Urlaub ansteht. Die Zeit bis dahin kann seeehr lang werden. Es gilt also, ein ausgebufftes Programm gegen etwaige Entzugserscheinungen zu entwickeln. Ich habe darin seit vielen Jahren Übung. Man kann sich etwas aus dem Internet bestellen, Lebensmittel, Kalender usw. Oder in einem dänischen Möbelhaus einkaufen. Fotos angucken und in Erinnerungen schwelgen.
Bei mir zuhause habe ich alle Innentüren skandinavisch blau gestrichen (was vermutlich kein Däne so macht), dänische Flaggen hier und da, und in den Vitrinen steht dänisches Geschirr, sogar Besteck vom Königlichen Dänischen Hoflieferant besitze ich, die rot-weißen, sich umarmenden Salz- und Pfefferstreuer sowieso.
Oft gehe ich ins Internet und sehe mir Webcams von verschiedenen Orten in Dänemark an. Natürlich lese ich, wenn Zeit bleibt, gerne mal eine der „Lokalavisen“ (und bilde mir ein, alles zu verstehen). Alles nur Trostpflaster! Was wirklich hilft, ist, so schnell wie möglich wieder zu buchen. Denn dann wird aus dem negativen Vorzeichen ein positives, aus Katzgejammer Vorfreude.
Danmark, jeg kommer tilbage!